Der Dorn.

Zum Tod von Kurt Demmler.

 

Aus dem Proberaum in Naunhof klingt die Hymne des Ostrock. „Wer die Rose ehrt, der ehrt heutzutage auch den Dorn...“ Die Renft-Combo wurde damit berühmt, Karussell und die Puhdys spielen es noch heute.

Getextet hat den Song der Liedermacher Kurt Demmler (†65). Über dem Ort bei Leipzig liegt die blaue Stunde. So bleiern und bedrückend, wie das Schweigen des vorbestraften Demmler, der sich während seines zweiten Prozesses wegen Missbrauchs Minderjähriger das Leben nahm.

In der Nacht zum 3. Februar erhängte sich der Dichter und Liedermacher mit dem Ledergürtel seiner Hose. Am Fensterkreuz seiner Zelle.

Mehr als andere seiner Kollegen prägte der studierte Mediziner die Sprachwelt des DDR-Rock. Generationen wuchsen mit seinen Liedern auf (siehe unten). Die 1976 gegründete Band KARUSSELL schöpfte ihr gesamtes Bestehen hindurch aus dem Fundus des Texters. Es waren seine „emotionalen und philosophischen Gedanken“, die den Rockfans im Osten Lebenshilfe und geistreiche Unterhaltung in einem bedeuteten. Das Repertoire Demmlers umschreibt Karussell-Sänger Reinhard „Oschek“ Huth (58) mit gewichtigen Worten. Auch den Erfolg der Karussell-Reunion im letzten Jahr sieht er vor allem im Wert der Texte. „Die Menschen wollten wieder Songs, die ihr Gefühl treffen, in deren Gedankenwelt sie sich aufgehoben und gemeint fühlten.“

Und nun ist es ausgerechnet der Autor selbst, der den angesehenen, in hohem Maße ethischen Gehalt seines Lebenswerkes ad absurdum führt. Die meist anonymen Stimmen mehren sich, „alle“ hätten von Demmlers perversen Neigungen gewusst. „Wir wurden von der Festnahme und den Anschuldigungen völlig überrannt“, sagt Wolf-Rüdiger Raschke (61), der die Gruppe gründete. Dass Demmler 2002 bereits rechtskräftig wegen Missbrauchs verurteilt wurde, drang bis nach Sachsen nicht vor. Schon gar nicht sprach Demmler selbst darüber. „Unser neues Album wollte er uns texten“, sagt Raschke ratlos. Vor der Frage stehend, wie es inhaltlich weitergehen soll. „Auf keinen Fall werden wir uns von den Songs trennen.“ Sänger Oschek erklärt warum: „Ich habe dieses Material verinnerlicht. Es sind meine Gedanken, meine Bilder. Für das Publikum bin ich es, der die Worte ausspricht.“ Natürlich hätten die Songs einen Urheber, über den er jetzt neu nachdenken müsse. „Es ist so feige, dass ich ihn nichts mehr fragen kann, dass ich....“ Oschek lässt den Satz offen. Es scheint, als wolle er einen Vorwurf verschlucken, als müsse er seine Seele schützen vor der kranken Welt des Dichters. Immer wieder betont er, Demmler sei trotz allem ein Genie gewesen. „Aber Genies müssen sich genauso an die Spielregeln halten, wie jeder andere auch.“ Über Demmlers Texte werden nun viele Fans neu nachdenken. „Vor allem aber hat er sich aus der Verantwortung gestohlen. Und dadurch noch mehr Schaden angerichtet.“

 

8. Februar 2009





 



„Bleich und uferlos / liegt die Liebe bloß / auf einem Stock / irgendwo hängt ihr Rock / irgendwo auf dem Stein / muss ihr Hemdchen sein.“


BLEICH UND UFERLOS, RENFT






„Das eine denken, das andere sagen / macht nicht gesünder und schadet zumeist. / Das stille schlucken schlägt auf den Magen / das Leere sagen geht auf den Geist.“

DAS EINE DENKEN DAS ANDERE SAGEN, Eigenproduktion






„Ehrlich will ich bleiben, ehrlich will ich sein. / Lieder will ich schreiben, so wie ich sie mein. / Lügenmahle stehen keinem zu Gesicht / mir nicht, dir nicht, ihm nicht, ihr nicht, uns nicht."

EHRLICH WILL ICH BLEIBEN, Karussell






„Manchmal fällt auf uns der Frost / und macht uns hart. / Und dann kommt es darauf an, / dass das Blut, das in uns fließt / seine Wärme halten kann / wenn sich..s eiskalt um uns schließt.“

ERMUTIGUNG, Renft






„Wie ein Goldfisch an Land / ein Pinguin im Sand / so ähnlich fühl ich mich / heute hier ohne dich. / Verhangne Regenwelt / erklär mein Bett zum Zelt / auf einmal ein Gesumm / um mich herum / Kommt das von draußen, / denk ich, oder irgendwo / aus meiner Sehnsucht… es ist so… / als ob ich hätt / Hummeln im Bett.“

HUMMELN IM BETT , Inka Bause (heute BAUER SUCHT FRAU)






„Dreh dich und seh dich nicht um / dideldidum / lieb mich und gib dich mir her / schwätz nicht und hetz nicht herum / dideldidum / dreh dich allmählich und mehr.“

SOMMERNACHTSBALL, Veronika Fischer






„König der Welt / ist das Herz das liebt / und jeder Herzschlag / ist ein Ritterschlag. / Verneigt euch tief / und so weit es geht / vor dieser herrlichen / Majestät / und soll dein Herz / selbst ein König sein / ich sag: dann liebe / und die Welt ist dein.“

KÖNIG DER WELT, Karat






„Noch nicht sechzehn / muss um zehn gehen / und aus Solidarität / nur aus Solidarität / und nichts als Solidarität / ging ich mit.“

NOCH NICHT SECHZEHN, Dialog






„Jeder Tag hat Fragen, die wolln Antwort / jeden Morgen neu, wenn man sich regt / Und die Antwort sei, dass man vorm Spiegel / abends nicht die Augen niederschlägt.“

WASSER UND WEIN, Puhdys






„Wenn es eine Liebe für die Seele gibt / und der Leib liebt eine andre heiß / häng ich da und bin auf einmal ungeliebt / wie ein Fischlein unterm Eis.“

FISCHLEIN UNTERM EIS, Karussell






„Worte, Worte wärmen nicht, / wenn man in den Wind sie spricht.“

WIND TRÄGT ALLE WORTE FORT, Lift






„Wer die Rose, wer die Rose ehrt, / der ehrt heutzutage auch den Dorn. / Wer zur Rose noch dazugehört / noch solang, solang man sie bedroht./ Einmal wirft sie ihn ab…..“

WER DIE ROSE EHRT, Renft






„Ich hab eine Blume daheim / diese hat vier Dornen nur / damit kann sie viermal stechen / und dann kann sie jeder brechen / warum ließ ich sie allein…“

DIE LIEDER DES KLEINEN PRINZEN, Eigenproduktion